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Teilhabe ist kein Luxus: "Herr Merz, Hände weg von der Eingliederungshilfe!"

Rolf Flathmann, stellvertretender Bundesvorsitzender, spricht auf der Demo für die Petition "Teilhabe ist kein Luxus" vorm Bundeskanzleramt. Die weiteren Personen auf dem Bild, von links: Christian Keitmann, Marcus Dengler, Philipp Grossmann (alle drei Selbstvertreter der Lebenshilfe Altmühlfranken), Katja Macheleidt, Büro für Selbstvertretung der Lebenshilfe Berlin, Sascha Ubrig, hauptamtlicher Selbstvertreter der Lebenshilfe Berlin, und Anja Hahlweg, Büro für Selbstvertretung der Lebenshilfe Berlin. © Lebenshilfe/Peer Brocke

Anfang Juni hatte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auf dem Kommunalkongress des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in Berlin über Finanzierungsengpässe, Überregulierung, Investitionsstau und die verschleppte Digitalisierung in Deutschland gesprochen.

In der Tat, Baustellen der Republik. Teure Baustellen. Der Kanzler adressierte bei seinen Antworten auf die Frage der Finanzierung aber nicht etwa sinnvolle Reformen bei Erbschafts- und Vermögensteuer. Auch die laut Hans-Böckler-Stiftung 100 Milliarden Euro jährlichen Einnahmeausfall durch Steuerhinterziehung waren kein Thema.

Stattdessen nahm Merz die Sozialausgaben ins Visier. Es sei zwar „völlig selbstverständlich“, dass Deutschland „ein sozialer Rechtsstaat“ bleibe. Und diejenigen, die seine Unterstützung benötigten, würden diese „auch in Zukunft ohne Wenn und Aber“ erhalten, betonte der Kanzler – um dann sofort ein Wenn und Aber hinterherzuschicken.

Wenn aber „über Jahre hin jährliche Steigerungsraten von bis zu zehn Prozent bei der Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe“ zu beobachten seien, sei das „nicht länger akzeptabel“.

Eine Aussage, die bis für viele Sozialverbände und Organisatoren nicht akzeptabel ist, setzt sie doch den Rotstift ausgerechnet bei jenen gesellschaftlichen Gruppen an, die ohnehin von politischen Entscheidungsträgern gerne übergangen werden. Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung junger Menschen im Bereich der Tagesbetreuung, Familienhilfe oder Kindeswohlgefährdung und eben auch der Eingliederungshilfen für seelisch behinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind im Gegensatz zu ungestopften Steuerschlupflöchern definitiv kein Luxus, den sich ein Staat erlaubt.

Ulla Schmidt, Bundesvorsitzende der Lebenshilfe und Bundesministerin a.D., reagiert damals entsprechend deutlich: „Mit dieser pauschalen Aussage unterstellt der Kanzler, dass Menschen mit Behinderung und ihre Familien sowie Kinder und Jugendliche zu Unrecht Leistungen beziehen und zu viel Geld kosten. Das ist ungeheuerlich! Menschen mit Behinderung erhalten ausschließlich bedarfsgerechte Unterstützung, damit sie am gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt teilhaben können.“

Schmid verwies dabei auf das im Grundgesetz verankerte Menschenrecht, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. „Wer denkt, Menschen mit Behinderung machen sich ein schönes Leben auf Kosten des Staates, der irrt gewaltig“, so Schmid.

Die jährlichen Steigerungen, auf die Kanzler Friedrich Merz in seiner umstrittenen Aussage verwies, seien kein dreister Griff in die Staatskasse, sondern „vielmehr auf die allgemeine Kosten- sowie die Tariflohnentwicklung zurückzuführen“, erklärte die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe.

„Als Lebenshilfe sagen wir klipp und klar: An den Schwächsten der Gesellschaft darf auf keinen Fall gespart werden. Vielmehr braucht es Investitionen in eine barrierefreie und inklusive Gesellschaft“, so Schmid.

Dieser Protest wurde nun am vergangenen Montag auch lautstark nach Berlin vor das Kanzleramt getragen. Unter dem Motto „Teilhabe kein Luxus!“ wurde eine Petition mit über 230.000 Unterschriften gegen Kürzungen bei der Eingliederungshilfe an Kanzler Merz übergeben. Auch die Lebenshilfe war mit einer starken Vertretung vor Ort.

So betonte Rolf Flathmann, stellvertretender Bundesvorsitzender der Lebenshilfe aus Bremerhaven, bei der Kundgebung am Mikrofon: „Der Sozialstaat und seine Leistungen werden in Frage gestellt. Das kann nicht sein. Denn Teilhabe und Inklusion sind Menschenrechte. Die können niemals in Frage gestellt werden.“ Flathmann verwies auf die Verpflichtung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, zu der sich Deutschland bereits vor über 15 Jahren verpflichtet hatte.

Die Lebenshilfe verwehrt sich daher strikt und ausdrücklich gegen alle pauschalen Forderungen nach Kürzungen der Hilfen. Flathmann, selbst Vater eines Sohnes mit Down-Syndrom verwies auf die wahren Gründe für die Kostensteigerungen. Zum einen werden immer mehr Menschen aufgrund des demografischen Wandels bezugsberechtigt. Zum anderen gehen die Kosten auf Tariflohnerhöhungen und vor allem stetig steigende Lebenshaltungskosten zurück. „Damit werden Unterstützungsleistungen nun mal teurer – wie alles andere ja auch“, betonte Flathmann und zog das Fazit: „Herr Merz, Hände weg von der Eingliederungshilfe!“

HIER kann man die Petition mit seiner Unterschrift unterstützen

EINFACHE SPRACHE:

Anfang Juni sprach Kanzler Friedrich Merz in Berlin.
Er nannte Probleme: Geldmangel, Bürokratie, langsame Digitalisierung.
Über Steuerreformen oder Steuerhinterziehung sprach er nicht.
Stattdessen kritisierte er steigende Sozialausgaben stark.
Er sagte: Deutschland bleibt ein sozialer Staat.
Aber Ausgaben bei Jugend- und Eingliederungshilfe steigen.
Bis zu zehn Prozent mehr jedes Jahr.
Das sei laut Merz nicht länger akzeptabel.

Sozialverbände fanden diese Aussage sehr problematisch.
Sie sagten: Gerade schwache Gruppen brauchen Unterstützung.
Hilfen für Kinder und Menschen mit Behinderung sind wichtig.
Diese Leistungen sind keine Luxusausgaben des Staates.
Ulla Schmidt von der Lebenshilfe widersprach Merz deutlich.
Sie sagte: Teilhabe ist ein Menschenrecht.
Vor dem Kanzleramt protestierten viele Menschen gegen Kürzungen.


Michael Wollny
Öffentlichkeitsarbeit
michael.wollny@lh-lindau.de